Auf den Spuren von Raubrittern, Spinnern und Stadträten

Ein Stadtteilrundgang an der Augsburger Straße in Pfersee vom Mittelalter über die Industriezeit in die Gegenwart


Lange Zeit war die Augsburger Straße die "gute Stube" Pfersees. Hier konnten sich die Bürger noch am stärksten mit ihrem Stadtteil identifizieren. Neben drei Kirchen befinden sich an dieser Straße zahlreiche Gebäude und Plätze an denen die bewegte Geschichte von Pfersee abzulesen ist. In der Nachkriegszeit war das Stadtteilzentrum immer mehr zur Durchgangsstraße verkommen. Auf Druck der Bevölkerung hatte der Stadtrat mehrmals beschlossen, der Straße wieder die Gestaltung zu geben, die ihrer Bedeutung entspricht. Obwohl diese Beschlüsse immer wieder auf die lange Bank geschoben wurden, ließen die Bürger nicht locker und erreichten im Jahr 2003 endlich die Neugestaltung. Pfersee hat seitdem nicht nur ein kulturhistorisch interessantes, sondern auch eines der schönsten und attraktivsten Stadtteilzentren Augsburgs.

 
Ein Rundgang durch dieses Stadtteilzentrum ist eine Reise durch die Zeiten, die Pfesee geprägt haben. Sie führt in elf Stationen vom Schlössle an der Stadtberger Straße bis zur Luitpoldbrücke an der Wertach.
  1. Pferseer Schlößle - Stadtberger Str. 21
  2. Kirche St.Michael
  3. Platz vor der Kirche St. Paul
  4. Haus Ohneberg
  5. Herz Jesu und das drumherum
  6. Pferseer Mühle
  7. Vorstandkino und Erzengel
  8. Spinnereien am Mühlbach
  9. Sieben Schwalben und die Schützen
  10. Das Zollhaus und die Wertachbrücke
  11. Stadtteilzentrum statt Durchgangstraße

Die Bürgeraktion Pfersee ist sehr naturverbunden. Neben den Bäumen in der Hessenbachstraße, die dem geplanten Ausbau der Linie 5 zum Opfer fallen sollen, lieben wir die Wertach heiß und innig (allerdings nicht so sehr Pfingsten 1999 beim großen Hochwasser.

1.  Das Pferseer Schlössle (Stadtberger Straße 21)

 

Ein Kupferstich von 1630 zeigt uns das Pferseer Schlössle in der heute noch erhaltenen Form. Damals gehörte Pfersee zur Markgrafschaft Burgau und war damit Teil des Reiches der Habsburger. Spötter bezeichneten die Markgrafschaft auch als „Schwanzfeder Österreichs".
1805 wurde die von Napoleon ausgerissen und Bayern zugeschlagen
 Lange Zeit wurde das Pferseer Schloss im Volksmund Herrmannsburg genannt, in Erinnerung an der Raubritter Herrmann. Der hatte als "Schröck von Pheresee", um das Jahr 1300 die Edelleute aus Augsburg drangsaliert. Ob seine Burg wirklich auf dem Platz des heutigen Renaissancebaues stand ist genauso ungewiss wie das Jahr, in dem dieses Schloss errichtet wurde.
 
Unklar ist auch, wann Pfersee entstand und ob in vorgeschichtlicher Zeit bereits eine Besiedlung vorhanden war. Manche glauben der Ortsname leite sich vom keltischen "Perz" (Burg, Pforte) ab, was auf eine frühe Besiedlung hindeuten würde. Neuere Forschungen halten diese Ableitung für wenig wahrscheinlich, vermuten aber doch eine vorgermanische (keltische?) Wurzel.

 Auf jeden Fall verdankt Augsburg dem Stadtteil drei wertvolle Funde aus der Römerzeit die heute im Römischen Museum gezeigt werden. In der Wertach wurde ein vergoldeter Pferdekopf gefunden, der ursprünglich zu einem monumentalen Reiterstandbild gehörte. Aus einer Kiesgrube an der Leitershofer Straße stammen zwei vergoldete Gardehelme (einer davon ist im Germanischen National Museum Nürnberg zu sehen). Beim Bau der Pferseer Unterführung fand man einen Reitergrabstein dessen farbige Bemalung noch deutlich zu erkennen ist. All dies beweist aber noch keine Besiedlung. Das älteste noch erhaltene Dokument stammt von 1126. Damals hatte Pfersee schon eine eigene Kirche und eine Burg.


Ein Kupferstich von 1630 zeigt uns das Pferseer Schlössle in der heute noch erhaltenen Form. Um diesen alten Herrschaftssitz hat sich in Pfersee der Rest eines historischen Kerns erhalten. Neben dem Jugendzentrum und dem Bürgerhaus befindet sich ein jüdisches Kaufmannshaus mit zwei Erkern.Nach einer Renovierung wird es jetzt als Unterkunft für obdachlose Frauen genutzt. Auch es entstand Anfang des 17. Jahrhunderts und erinnert daran, daß Pfersee bis Mitte des 19. Jahrhunderts eine bedeutende jüdische Gemeinde und eine Synagoge hatte. Der Bau dieses Hauses führte zu Beschwerden des damaligen Pfarrers, der befürchtete, dass ihm seine jüdischen Nachbarn ins Wohnzimmer sehen könnten.

Das ehemalige Pfarrhaus wurde 1749 errichtet und wirkt am besten wenn man es von der Michaelskirche aus betrachtet. Die barocke Gottesmutter ist eine schöne Erinnerung an die in dieser Zeit so starke Marienverehrung. Damals war, bis auf drei Ausnahmen, jedes der gut 100 Häuser in denen Katholiken wohnten, mit Marienfresken oder Figuren geschmückt.

 2. Kirche St. Michael

Familie Mozart und die Dorfkirche
Die Dorfkirche St. Michael steht auf den Grundmauern einer wesentlich älteren gotischen Kirche, die auf alten Stichen noch zu sehen ist. Der jetzige Bau entstand ab 1685. Schon an der Planung wesentlich beteiligt war der domkapitlische Maurermeister Hans Georg Mozart, ein Uronkel von Wolfgang Amadeus Mozart. Der Familie Mozart war das Dorf Pfersee gut bekannt, hatte sie doch seit 1570 dort gewohnt ehe sie in den Wirren des dreißigjährigen Krieges 1643 nach Augsburg zog. Zwei Jahre später wurde das Dorf vollständig geplündert und niedergebrannt, zum zweiten mal in diesem Krieg. Schon 1372 und 1432 waren Streitigkeiten zwischen dem Herzog von Bayern und der Stadt Augsburg der Anlass gewesen das Dorf niederzubrennen.

Soldaten waren die größte Plage und bedrohten immer wieder die Existenz des Dorfes. Während die feindlichen Soldaten sich mit Gewalt nahmen was sie wollten mussten Söldner befreundeter Mächte freiwillig ernährt werden. Im Jahre 1799 beispielsweise versorgten die 150 Familien des Dorfes einige Tage 10000 kaiserlich russische Soldaten. Kurz vorher waren starke österreichische Truppen verpflegt worden.

Nur wenn es gelang, Truppenoffiziere mit Geldgeschenken, silbernen Sporen, Uhren oder Stiefeln gnädig zu stimmen, war es möglich die schlimmsten Auswüchse solcher Einquartierungen zu verhindern. In der Gemeindekasse gab es dafür extra den Posten "Sicherheits- und Erleichterungsanstalten". Mit den Soldaten kamen häufig auch Seuchen wie Pest, Cholera Typhus und Blattern. Schwere Seuchen zogen von 1000 - 1700 etwa 50mal durch Augsburg und die umliegenden Dörfer.

Die barocke Innenausstattung der Kirche zeigt sehr eindrucksvoll wie nah den Menschen der Tod war und wie es ihnen gelungen ist, dies in ihr Leben zu integrieren. Besonders wertvoll sind die eindrucksvollen Fresken von Johann Georg Bergmüller. Der war Direktor der Augsburger Kunstakademie und der bedeutendste barocke Kirchenmaler seiner Stadt. Viele seiner Deckengemälde in Augsburg wurden im 2. Weltkrieg zerstört, was die hervorragenden Gemälde in Pfersee noch zusätzlich gewinnen lässt.

Wer die reiche Ausgestaltung von St. Michael bewundern will, sollte sich vorher beim Pfarramt erkundigen, da aus Sicherheitsgründen meist abgesperrt ist.

Direkt an der Kirche befand sich auch der Dorffriedhof, von dem noch einige Grabplatten, an der Nordseite eingemauert, übrig blieben. Wer will kann nach dem schon ziemlich verwitterten Grabstein von Peter Deutschmann suchen. Dieser Bildhauer war an der Ausgestaltung der Kirche beteiligt. Im Alter von 38 Jahren ertrank er 1778 in der Wertach.

Gegen die Erschütterung durch den Verkehr, unter denen die Dorfkirche stark leidet, nützen auch diese Sicherheitsmaßnahmen nichts. Schon 1976/77 mussten deshalb umfangreiche Nachbesserungen an der Statik vorgenommen werden.

3. Platz vor Kirche St. Paul

 

Abschied vom Dorf
Dort wo die Brunnenbachstraße in die Augsburger Straße mündet befand sich die Bebauungsgrenze des Dorfes Pfersee. Ein Näherrücken an Augsburg verhinderte die Wertach, die breit und mit zahlreichen Nebenarmen zwischen der freien Reichsstadt und dem Dorf floss. Seit dem Mittelalter bestand ein direkter Weg nach Augsburg, der aber nur für Fußgänger passierbar war. Der Wertachsteg wurde fast regelmäßig durch Hochwasser zerstört.
Erst ab 1856 brachten umfangreiche Dammschutzarbeiten eine nachhaltige Verbesserung. Der Weg nach Augsburg wurde zur Straße und die umgebenden Wiesen zur Hauptentwicklungsachse des Dorfes.

Den Abschluss der Augsburger Straße bildet seit 1964 die evangelische Kirche St. Paul. Vorher stand hier das "Gasthaus zum bayerischen Wirth", den Abschluss auf der anderen Straßenseite bildete die Wirtschaft "Schwarzer Adler". Jetzt befindet sich in dem Gebäude (Stadtberger Str. 4) eine Reiter Filiale. Der ehemalige Biergarten musste einem Flachbau weichen.
Alte Ansichtskarten zeigen, dass dieser Bereich als Dorfplatz und Treffpunkt für die Bevölkerung gestaltet war. Die noch vorhandene kleine Grünfläche ist der Rest zweier Bauerngärten. Heute lädt dieser Dorfplatz leider kaum noch zum Verweilen ein. Er präsentiert sich vorwiegend als Parkplatz, Verkehrsdrehscheibe und Stellfläche für Müllcontainer. Ein seit 1983 bestehender Stadtratsbeschluss, der eine würdige Gestaltung dieses Platzes um die Michaelskirche vorsieht, ruht tief in den Schubladen der Verwaltung.

4. Haus Ohneberg

Bürgerstolz und Arbeiterelend
Das eindrucksvoll gestaltete Ohneberghaus (Ohneberg war der Bauherr) lässt sich am besten von der anderen Straßenseite aus betrachten. Die reiche Ausstattung des Hauses ist vor allem in den oberen Stockwerken erhalten geblieben. Ursprünglich waren auch die Geschäfte im Erdgeschoß mit Rundbögen und Säulen gegliedert. In der Nachkriegszeit wurden sie durch breite Schaufenster ersetzt.

Dennoch ist das um 1914 entstandene Haus immer noch ein schönes Beispiel, mit welchem Stolz die Bürger um die Jahrhundertwende ihre „Hauptstraße“ gestalteten. Es galt wohl als Privileg dort zu wohnen.

Privilegiert waren sicher diejenigen, die in solchen Häusern wohnen konnten. Bedingt durch die Industrialisierung seit etwa 1860 war es in Pfersee zu einem enormen Anwachsen der Bevölkerung gekommen, mit dem die Bautätigkeit nicht Schritt halten konnte. 1860 hatte der Ort noch etwa 900 Einwohner, 1900 waren es 7000, 1910 bereits über 10000 für die nur etwa 600 Häuser zur Verfügung standen. Wenn einer Familie von 6 - 10 Personen zwei Zimmer zur Verfügung standen war das eher die Regel als die Ausnahme. Viele Schichtarbeiter hatten kein eigenes Bett sondern lebten als "Schlafgänger" bei einer Familie, die diese Einnahmen dringend für den Lebensunterhalt benötigte.

Das Nachbarhaus (Nummer 34), wurde im 2. Weltkrieg durch eine Bombe zerstört und präsentiert sich jetzt als typischer Bau der frühen Nachkriegszeit.

Wer seinen Blick weiter in Richtung Herz Jesu Kirche schweifen lässt, erkennt an den Häusern nur noch an den oberen Stockwerken die ursprünglichen Gestaltungsabsichten. Gut gelungen ist allerdings die Sanierung des Eckhauses Augsburger Straße 29 / Gellertstraße. Noch vor einigen Jahren präsentierte sich dieser Bau als eine in die Jahre gekommene graue Maus. Nach der Sanierung fällte er heute wieder in seiner gründerzeitlichen Schönheit ins Auge.

5. Das Juwel des Jugendstils entsteht in der Zeit der Eingemeindung

Bevor wir uns der Kirche Herz Jesu zuwenden, lohnt sich in Blick auf einige Häuser der Umgebung. An der Ecke Kurhaus Straße steht das so genannte Halkerhaus. Wo ursprünglich Öfen verkauft wurden ist jetzt ein Friseursalon. Die Initialen des Erbauers, Hafnermeister Friedrich Halker sind noch im Giebel über der Jahreszahl des Baues zu sehen (1904). In den oberen Stockwerken wurde weitgehend der ursprüngliche Baustil bewahrt.

Im kleinen Haus auf der anderen Seite der Augsburger Straße, wo jetzt Familie Piskindemir Obst und Gemüse verkauft, wurde 1876 die erste Pferseer Apotheke eingerichtet. Ein prächtig gestalteter Giebel im 1. Stock erinnert an die besondere Bedeutung dieses Hauses.

Zwischen Kaufhaus Konrad und der Herz Jesu Kirche hindurch fällt der Blick auf das protestantische Bethaus (Jakobine-Lauber-Str.5).

Den Protestanten war es bis 1806 nicht möglich sich in Pfersee anzusiedeln. Bis dahin gehörte der Ort zur Markgrafschaft Burgau und damit zu Vorderösterreich, das evangelischen Christen den Aufenthalt verbot. Noch 1834 kamen auf 649 Katholiken nur 18 Protestanten. Erst mit der Zuwanderung durch die Industrialisierung konnte sich ein evangelisches Gemeindeleben entfalten, das 1888 zum Bau des Bethauses führte. 1905 lebten bereits 1193 Protestanten in Pfersee. Dies entsprach einem Bevölkerungsanteil von gut 16 %, eine Zahl die auch heute noch zutrifft. Heute gehören übrigens 6% der Bevölkerung einer islamischen Religionsgemeinschaft an.

Das Bethaus, in dem die Diakonissen auch Soziale Dienste anboten (Armen- und Krankenpflege, Kinderhort), musste schon 1903 nach Norden und 1910 nach Süden erweitert werden. Nach dem Bau der Kirche St. Paul gab es Überlegungen das Gebäude abzureißen, glücklicherweise entschied man sich aber für eine Sanierung und neue Nutzung, z.B. als Unterkunft für unbegleitete jugendliche Geflüchtete.

Verschwunden ist in den 60iger Jahren allerdings das Haus der Gemeindeverwaltung, das zwischen Kirche und Kaufhaus an der Augsburger Straße stand. Bis zur Eingemeindung im Jahre 1911war es Sitz der Gemeinde Pfersee, danach Verwaltungshaus der Stadt Augsburg. In Pfersee hieß es "Das Kommissariat".

Die Herz-Jesu-Kirche entstand in der Zeit von 1907 bis 1910. Die Leistung der Kirchengemeinde im damals größten Pfarrdorf Schwabens löst heute noch tiefen Respekt aus. Vor allem der Mut, sich für den Entwurf des erst dreißigjährigen Architekten Michael Kurz zu entscheiden, verdient Bewunderung. Auch heute stellt der markante Bau mit seinem 72 Meter hohen Turm (plus 6,5 m hohes Kreuz) eines der höchsten Gebäude der Stadt dar. Die Innenausstattung, ist ein Gesamtkunstwerk des Jugendstils.

"KOMMET ZU MIR, ALLE DIE IHR MÜHSELIG UND BELADEN SEID", verkündet die Altarkuppel das Gestaltungsprogramm und sogar ein überlebensgroßer Indianerhäuptling folgt dieser Einladung. Die Innenausmalung erfolgte in der Zeit des 1. Weltkrieges. Vielleicht schützt sich deshalb der St.Georg auf der Nordseite mit einem deutschen Stahlhelm.

Die Erbauer der Kirche wollten diese ganz bewusst zum Zentrum von Pfersee machen und auch die Umgebung einladend als Treffpunkt mit Marktplatz gestalten. Diese Idee ist offensichtlich abhanden gekommen. Wie schon die Umgebung von St. Paul und St. Michael präsentiert sich die Gegend um dieses Juwel des Jugendstils immer mehr als Verkehrsdrehscheibe. Wer sich hier aufhält, wartet meist nur auf die nächste Tram. Leider hatten die Planer nicht den Mut, in die Umgestaltung der Augsburger Straße diesen Platz mit hinein zunehmen. Wie schon der Platz bei der Michaelskirche wartet auch der zentrale Bereich von Pfersee noch auf eine qualitätsvolle Erneuerung. Ganz entscheidend gebessert hat sich durch die Neugestaltung allerdings die Situation für die Benutzer der Straßenbahn. Die können jetzt, wie überall im Stadtteil, entspannt und barrierefrei die Tram betreten, was die Pferseer auch gerne tun, nachdem sie von 2002 bis 2003 ganz darauf verzichten mussten. Die Haltestelle Augsburger Straße ist eine der am stärksten benutzten im Stadtgebiet.

6. Ein Abstecher zur Pferseer Mühle

An der Einmündung der Kirchbergstraße in die Augsburger Straße lohnt sich ein Abstecher zur ehemaligen Pferseer Mühle. Bis zur Eingemeindung war die Kirchbergstraße die Mühlstraße, sie führte direkt zur Pferseer "Mahl-Mühle", die an einem Nebenarm der Wertach lag. Wer jetzt nach dem Kirchberg sucht, tut dies vergeblich, die Straße wurde nach Graf Kirchberg benannt, der bekanntlich im 12. Jahrhundert den Pferseer Raubritter Herrmann besiegte. Deshalb geht es nun völlig flach bis zur ehemaligen Fabrik Dierig, die als letzter Pferseer Textilbetrieb 1996 ihre Produktion einstellte. Ein Teil der Produktionsräume, die jetzt an Gewerbebetriebe vermietet sind, steht unter Denkmalschutz. Es gab sogar den Vorschlag hier das Textilmuseum einzurichten.

Bis in die jüngste Zeit war Pfersee stark durch seine Industriebetriebe geprägt. Sehr viele Menschen hatten im Stadtteil nicht nur ihre Wohnung, sondern auch ihren Arbeitsplatz. Durch das Verschwinden der Arbeitsplätze ändert sich die Struktur im Stadtteil stark. Immer mehr Pferseer legen weite Wege zu ihrem Arbeitsplatz zurück.

Die Ansiedlung der Industriebetriebe begann schon 1866 an den neu gewonnenen Flächen links und rechts der Augsburger Straße mit der Weberei Müller, die später zur Kunstseidefabrik Bemberg wurde und einer Spinnerei und Buntweberei die sich zur Spinnerei, Weberei Pfersee entwickelte. Weitere Firmen folgten z.B.: 1870 Maschinenfabrik Gebr. Demharter. später Zuckerwarenfabrik, jetzt mit Wohngebäuden bebaut an der Leitershofer Straße 40. 1875 Chemikalien Rad und Hirzl, später pharmazeutischer Großhandel, jetzt SHS Wohnanlage Hessenbachstraße. 1877 Süddeutsche Trikotwarenfabrik, jetzt Wohnanlage Wertachpark (Hessenbachstraße). 1888 Appreturfabrik Bernheim, später Chemische Fabrik, jetzt Pfersee-Park.

Wie viele Textilfabriken verfügte Dierig über Grundbesitz, der als Erweiterungsfläche gedacht war. Die Betriebsangehörigen konnten die freien Flächen für Kleingärten und einen Sportplatz nutzen. So wurde im dicht bebauten Pfersee-Nord eine Grünfläche erhalten. Auf den Freiflächen trafen sich Betriebsangehörige und Menschen der verschiedensten Bevölkerungsgruppen und Nationen um sich zu erholen. Die Integrationsarbeit, die hier ganz selbstverständlich geleistet wurde, ist unbezahlbar und nicht zu ersetzen. Obwohl der Betrieb die Flächen nun nicht mehr für seine Erweiterung benötigte, wurden Planungen in Gang gesetzt, die zur Zerstörung dieses Grüns führten. Pfersee-Nord hat damit seine einzige größere Grün- und Erholungsfläche verloren.

Auf dem Parkplatz der Firma Dierig entstand 2003 eine Altenwohnanlage, die von der Arbeitwohlfahrt betrieben wird. In einem richtungweisenden Konzept werden hier verschiedene Angebote vom betreuten Wohnen bis zur Vollzeitpflege unter einem Dach angeboten.

Das Gebiet der Pferseer Mühle belegt jetzt die Firma Eberle. 1885 begann die Firma hier die Produktion von Federn und Laubsägen. Von 1903 bis 1906 erbaute der Architekt Jean Keller, der übrigens auch das Kurhaus in Göggingen erstellte, das Verwaltungs- und Fabrikgebäude in einem sehr repräsentativen Stil. Auch diese Firma sollte übrigens 1986 zugunsten von Wohnbebauung verschwinden. Der bereits fertige Bebauungsplan wurde in letzter Sekunde, nach einer Initiative aus der Bevölkerung, vom damaligen Oberbürgermeister Hans Breuer gestoppt. So blieb Pfersee ein letzter großer Industriebetrieb erhalten und wir können einen Blick auf die gut gegliederte Backsteinfassade an der Eberlestraße werfen. Diese wirkt übrigens in der Abendsonne am Schönsten.

Der Weg geht nun über den Mühlbach, wo wir das Turbinenhaus sehen, vorbei an der Wohnanlage Angerhof, die 1934 entstand, zurück zur Augsburger Straße. Von dort begeben wir uns wieder Richtung Herz Jesu Kirche bis zum Mühlbach, wo wir die Straße überqueren müssen um einen guten Blick auf zwei wichtige Gebäude zu erhalten.

 7. Vorstadtkino und Erzengel

Der Blick Richtung Westen trifft auf ein Haus mit zwei geschmiedeten Balkonen. Es ist das älteste gründerzeitliche Gebäude an der Straße und diente 1891 dem königlich- bayerischen Post und Telegraphenamt als Sitz. 1926 wurde in einem Anbau, der vorher als Zimmerei diente, das Kino "Odeon" eingerichtet, das bis in die 60iger Jahre spielte. Um 1980 wurde das Haus innen vollständig umgestaltet und ein Supermarkt hielt Einzug.

Ganz anders die Geschichte der Apotheke St. Michael. Hier hielt der Erzengel ein wachsames Auge und konnte eine Nutzungsänderung verhindern. Seit seiner Erbauung 1905 bis ins Jahr 2005 wurde in diesem, mit viel Liebe zum Detail gestalteten Haus, eine Apotheke geführt.

Hier bietet ein Cafe, direkt am Mühlbach, die Möglichkeit zu einer Erfrischung.

 8. Spinnereien am Mühlbach

er Mühlbach, schon immer ein Nebenarm der Wertach, war 1856 kanalisiert worden. Damit konnte seine Wasserkraft besser genutzt werden. Zusammen mit den Freiflächen waren so entscheidende Voraussetzungen für die Ansiedlung von Industriebetrieben entstanden. Wo sich heute das Bemberg Center erhebt stand bis 1971 die Kunstseidefabrik Bemberg, ihr gegenüber die Spinnerei, Weberei Pfersee (SWP). Dieser, im Stadtteil "Große Fabrik" genannte Betrieb, hatte schon viele Flauten überstanden und schrieb schwarze Zahlen, als er 1992 Opfer der Spekulationsabsichten von Josef Wisser wurde. Der Firma wurde ihr Grundstück zum Verhängnis, das durch dichte Neunutzung der ehemaligen chemischen Fabrik in der Nachbarschaft noch wertvoller geworden war. Viele verloren mit dem Arbeitsplatz auch ihre günstige Werkwohnung und ihren Mietergarten, beides Vergünstigungen, auf die die schlecht bezahlten TextilarbeiterInnen oft angewiesen waren.

Der Kampf der Bürger um eine verträgliche Nutzung des Geländes führte 1995/96 sogar zu einem Bürgerbegehren. Die Pferseer erreichten damit einen Stadtratsbeschluss der eine Reduzierung der extremen Bebauungsdichte, eine Vergrößerung der Grünfläche, einen Spielplatz für ältere Kinder und eine attraktive Gestaltung der Augsburger Straße vorsah. Ein Wermutstropfen dabei war allerdings, dass durch die schon weit fortgeschrittene Planung, Verbesserungen nur noch begrenzt möglich waren. Die geschlossene Bebauungsfront an der Südseite der Augsburger Straße stellt einen vollkommenen Bruch mit der bisherigen Struktur an der Straße dar. Wer davor steht, kann es sich kaum vorstellen: der viergeschossige Bauriegel sollte ursprünglich noch zwei Stockwerke höher werden und wurde erst nach massiven Einwendungen der Bürger reduziert.

Eine letzte Erinnerung an die „Große Fabrik“ stellen jetzt die Staßennamen (Zur Spinnerei, Am Webereck) und das kleine Kraftwerk dar, von dem sich ein wunderschöner Blick auf den renaturierten Mühlbach werfen lässt. Auch diese gelungene Umgestaltung eines Fabrikkanals war von den Bürgern eingefordert worden.

 9. Sieben Schwalben und die Schützen

Der Weg führt nun unter dem Hochhaus des ehemaligen Textilunternehmens hindurch. Am ehemaligen Pförtnerhaus prangte bis zu dessen Abriss das Steinbild der Spinnerin, ein Werk von Otto Michael Schmitt. Es wurde zugesichert, dass es am Nachfolgebau nach der Fertigstellung wieder angebracht wird. Das Hochhaus ist an der Augsburger Straße das letzte Gebäude, das auf Pfersees industrielle Vergangenheit hinweist. Wegen der starken baulichen Veränderungen seit dem Jahr 2000 muss man schon Fotos von früher heranziehen um die ursprüngliche Gestaltung, die in den 60er Jahren erfolgte, noch zu erkennen.

Auf der anderen Straßenseite sehen wir das Gasthaus "Sieben Schwalben" mit dem schattigen Biergarten. Das Haus, um 1880 erbaut, stammt noch aus der ersten Bauphase an der Augsburger Straße. Damals hatten die Gebäude dörflichen Charakter und waren großzügig mit Grünflächen und Vorgärten umgeben, die später der Straße geopfert wurden. Zusammen mit der Michaelsapotheke ist die Gaststätte übrigens das einzige Haus, das durch die Zeiten seine ursprüngliche Nutzung erhalten konnte.

In dem langen Nebengebäude im Hinterhof unterhält der Verein der Sportschützen Pfersee eine Schießanlage und eine kleines Vereinsheim. Bis in die Nachkriegszeit waren viele Pferseer Vereine ganz eng mit "ihren" Gaststätten verbunden. Jetzt gibt es kaum noch Wirtschaften, die bereit sind, den Vereinen Nebenräume zu überlassen. In Pfersee haben sich glücklicherweise über das Bürgerhaus neue Formen des Treffens und Engagements entwickeln lassen.

 10. Das Zollhaus und die Wertachbrücke

Bis zur Eingemeindung musste hier jeder an Gemeindezöllner einen festgesetzten Obolus entrichten, wenn er über die Wertach wollte, egal ob er zu Fuß oder in der Tram unterwegs war. Schon seit 1881 verkehrte die Pferdebahn in regelmäßigen Abständen, ab 1898 dann die "Elektrische" im 5 Minuten Takt. Ein großer Teil der Industriebetriebe war an das Localbahnnetz angeschlossen, das seit 1894 über die Eiserne Brücke auch nach Pfersee führte.

Auch nach der Eingemeindung drängten die Pferseer immer wieder darauf, den Weg in die Stadt zu verbessern. Um die Notwendigkeit eines Brückenneubaues zu unterstreichen wurde 1911 einen Monat lang der Verkehr über die Wertachbrücke gezählt Das Ergebnis konnte sich sehen lassen:

  • 249996 Fußgänger
  • 25439 Fahrräder
  • 11721 Fuhrwerke
  • 10468 Straßenbahnen
  • 635 Automobile
  • 3325 Kinderwagen
  • 7616 Handwagen
  • 729 Militärs
  • 107 Stück Großvieh
  • 1017 Stück Kleinvieh, davon eine Ziege


Trotz dieser beeindruckenden Zahlen bedurfte es erst wieder eines Hochwasserschadens, bis die Stadt 1919 den Neubau der Brücke ernsthaft in Angriff nahm. Am 29.10. 1921 wurde diese dann eröffnet und nach dem Prinzregenten Luitpold benannt. Nach den letzten Verkehrszählungen sind es übrigens in der Zwischenzeit mehr als 20000 Autos die täglich die Luitpoldbrücke überqueren.

Mit der Brücke wurde 1921 auch der Wertachkanal fertig gestellt. Damit schien die Hochwassergefahr gebannt. Die Chronik berichtete stolz vom letzten Hochwasser im April 1919. Ein Irrtum wie sich bald herausstellte.1932 setzte die Wertach Teile von Göggingen unter Wasser, 1965 die noch unbebauten Uhlandwiesen und die damals neuen Häuser an der August Vetter Straße und an der Chemnitzer Straße. Am 23. Mai 1999 (Pfingstsonntag) erfolgte nach dem Bruch des veralteten Gögginger Wehres (Ackermann Wehr) eine Überflutung großer Teile Pfersees, vor allem von Pfersee Süd. Der Schaden betrug dabei weit über 50 Millionen Euro. Die Verantwortlichen der Stadt gaben sich völlig überrascht und überfordert, die Menschen wurden gar nicht oder viel zu spät gewarnt. Wie schon 1965 folgte das Wasser dem Lauf des ehemaligen Brunnenbaches, der zwischen Uhland- und Leitershofer Straße floss und am Ende der Färberstraße in den Mühlbach mündete. Die Wertach hatte deutlich gemacht, dass es sich bitter rächt, wenn der Hochwasserschutz eines Voralpenflusses vernachlässigt wird.

Dabei bereitet die Wertach heute noch ganz andere Probleme. Sie gräbt sich immer tiefer in ihr Flussbett ein, unterspült die Uferverbauung und es besteht sogar die Gefahr, dass sie ganz versickert. Mit dem Programm Wertach vital will das Wasserwirtschaftsamt dieser Gefahr entgegenwirken und gleichzeitig den Hochwasserschutz verbessern.

Interessant blieb auch die Geschichte der Luitpoldbrücke. Das alte Bauwerk erwies sich 2001 als so baufällig, dass es kurz darauf für die Straßenbahn gesperrt werden musste. Die Stadt verpasste daraufhin den Pferseern einen Neubau, der jedes städtebauliche Maß sprengt und gleich doppelt so breit wurde wie die alte Brücke. Im Laufe der Planung verdoppelten sich dann auch die Baukosten. Wie hoch die genau sind steht immer noch nicht fest, gut 12 Millionen Euro sind im Gespräch. Da spielt die knappe Million, über die sich Stadt und Baufirma noch streiten wollen, fast keine Rolle mehr. Die aufgebrachte Bürgerschaft konnte nur einen ebenfalls geplanten Tunnel für die Lokalbahn verhindern. Der sollte ursprünglich 2 Millionen Euro kosten, die zuletzt genannte Zahl war dann allerdings 11 Millionen. Die weitgehende Zerstörung der Wertachauen, die für die Zufahrtrampen erforderliche gewesen wäre, ist hier noch nicht eingerechnet.

Am ehemaligen Pferseer Zollhaus jedenfalls blickt eine wunderschöne neugotische Madonna seit gut einhundert Jahren demütig auf dieses Geschehen. Seit der Renovierung im Jahre 2004 leuchtet ihr Mantel, der vorher stark von Abgasruß geschwärzt war, wieder meerblau.

Auch die Bebauung der Ecke zur Lutzstraße war um 1880 im ländlichen Stil erfolgt. Etwa 1920 entstand stattdessen das erste Pferseer "Hochhaus", in das die Walfisch-Bierhallen und das erste Kino, die Bavaria-Lichtspiele einzogen. Die Baukräne wurden mit Pferden betrieben.

11. Stadteilzentrum statt Durchgangsstraße

Wer von der überbreiten Luitpoldbrücke auf die Augsburger Straße blickt, erkennt sofort, in welch städtebaulicher Spannung dieser gesamte Bereich steht. Von dörflichen Bauten, über die Gründer- bis in die Neuzeit sind auf engstem Raum die verschiedensten Stilrichtungen vertreten. Auch wenn man sich über die Qualität einiger Bauten streiten kann, unbestritten ist: diese Vielfalt breitet die ganze Geschichte vom Dorf bis zur Neuzeit aus und macht sie erlebbar.

Vieles in Pfersee ist im Umbruch. Der Zusammenhang von Wohnen, Arbeiten und Leben im Stadtteil, den die alten Pferseer noch so gut kannten, ist weitgehend verloren gegangen. Das Bewusstsein für den Stadtteil in dem man lebt, braucht neue Möglichkeiten um sich entwickeln zu können. Die Augsburger Straße bietet eine an. Deshalb war es so wichtig, den Charakter der Durchgangsstraße zu nehmen und ihr eine neue Gestaltung zu geben.

Die Voraussetzungen dafür waren gut. Mit Bürgermeister-Ackermann-Straße und B 17 neu sind Umgehungsstraßen vorhanden, die den ganzen Stadtteil umschließen. Die Bürger haben immer wieder deutlich gemacht, wie wichtig für sie eine attraktive Gestaltung ihres Zentrums ist. Der Stadtrat hatte deshalb schon mehrmals klare Beschlüsse zur Verkehrsberuhigung gefasst. Als dann auch noch die abgefahrenen Straßenbahngleise ausgewechselt werden mussten, war es Zeit für eine Neugestaltung. Vor allem die Fußgänger und die Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel haben dadurch gewonnen. Die Tempo 30 Regelung beruhigt den Verkehr. Sie ermöglicht zusammen mit den abgesenkten Gehsteigen und schmäleren Fahrbahnen eine wesentlich bessere Überquerbarkeit der Straße, die vorher eine stark trennende Wirkung hatte. Bäume und die Gestaltung der Gehwege erhöhen die Aufenthaltsqualität. Die Augsburger Straße wird so zunehmend wieder die gute Stube von Pfersee werden, in die man gerne geht, sich trifft und etwas erleben kann. Darauf können die Pferseer stolz sein, denn ohne den Einsatz der Bürger wäre diese Entwicklung nicht möglich gewesen.